Service Citoyen von Noémie Roten
Sie will uns alle in den Gemeinschaftsdienst schicken!
Sie chauffierte Lastwagen in der Armee und arbeitete im Stab eines britischen Unterhaus-Abgeordneten. Jetzt will Noémie Roten das Schweizer Milizsystem umkrempeln.
Edgar
Schuler
Noémie Roten ist Co-Präsidentin des Vereins Service Citoyen, der die Initiative für einen obligatorischen Gemeinschaftsdienst lanciert.
Zehn
Jahre dauerte die Vorbereitung, jetzt kommt der Realitätstest. Am Dienstag startet der Verein ServiceCitoyen.ch die Unterschriften-sammlung für seine Initiative. Das Ziel: statt Militärpflicht
nur für Männer einen Gemeinschaftsdienst für alle. Dieser obligatorische Service citoyen könnte in der Armee geleistet werden, aber auch im Gesundheitswesen oder überall dort, wo Dienst fürs Gemeinwohl gefragt
ist.
Die Lancierung der Initiative ist ein Meilenstein für Noémie Roten, Co-Präsidentin des Vereins. «Ich bin völlig überzeugt, dass es diesen Service citoyen braucht», sagt
Roten. «Denn ohne Miliz-Engagement gibt es keine Demokratie. Wir können nicht Dinge gemeinsam entscheiden, die wir dann nicht auch gemeinsam umsetzen.»
Dabei ist die 33-Jährige selbst
ein Schulbeispiel für den Milizgedanken: Nach der Matura in Genf machte sie die Rekrutenschule. «Ich wollte als Schweizer Bürgerin diese Erfahrung machen», sagt Roten. Sie wurde Militärlastwagenfahrerin und leistete 245 Diensttage.
Zwar kam eine Offizierskarriere für Roten nicht infrage, denn sie wollte noch reisen. Aber sie liess sich als Militärersatzrichterin engagieren. «Ich bin ein gutes Beispiel dafür, was Studien zeigen: Wer
sich als junger Mensch für die Gemeinschaft engagieren kann, wird das später immer wieder tun.»
Der Militärdienst war für Roten aber auch Anschauungsunterricht für die Mängel
im heutigen Milizsystem: «Es ist diskriminierend, und zwar den Frauen wie den Männern gegenüber.» Zudem sei es nicht auf die ganze Palette künftiger Risiken ausgerichtet, weder auf Pandemien, Naturgefahren noch auf den Notstand in
der Langzeitpflege.
«Absurd!»
Der grösste Stolperstein ist laut Roten dabei das veraltete
Konzept der Militärtauglichkeit: Frauen, die Zivildienst leisten wollen, müssen sich zuerst freiwillig für die Armee melden, dann für tauglich erklärt werden, aber schliesslich müssen sie den Tatbeweis antreten,
dass sie aus Gewissensgründen nicht in der Armee dienen können. «Absurd!», sagt Roten.
Roten besprach ihre Erfahrungen und Visionen mit jungen Gleich-gesinnten in Genf. «Wir wollten die Welt verändern!» Der erste Schritt dazu war dann die Gründung des Vereins Service Citoyen.ch, der die Idee der Volksinitiative weiterentwickelte.
Hauptsächlich
aber studierte Roten in St. Gallen Volkswirtschaft und machte ein Praktikum bei der Nationalbank in Zürich. «Ich wollte möglichst weit weg von zu Hause und mein Deutsch verbessern.» Ihr Masterstudium machte sie dann an der London School
of Economics. Gleichzeitig arbeitete sie im Stab eines Unterhaus-Abgeordneten. Da lernte sie die parlamentarische Mechanik kennen.
«Ich bin ein politisches Wesen»
«Ich bin ein politisches Wesen», sagt Roten. Doch sie kam schnell zum Schluss, dass ihre Zeit ausserhalb der Partei- und Machtpolitik besser investiert ist. «Da muss man taktieren und manipulieren. Und wenn
man weiterkommen will, muss man immer das sagen, was die Leute hören wollen.»
Nach einer Station beim Wirtschafts-Thinktank Avenir Suisse und beim westschweizerischen Medium Heidi.news baut Noémie
Roten heute in der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft einen neuen Bereich auf, der gegen Polarisierungstendenzen wirken und den Zusammenhalt der Gesellschaft durch demokratische Teilhabe fördern soll.
Vor dem nächsten Schritt beim Projekt Volksinitiative hat Roten Respekt: «Die 100’000 Unterschriften zusammenzubringen, wird ein hartes Stück Arbeit, auch wenn gemäss Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung hinter dem
Modell Service citoyen steht.»
Edgar Schuler ist Inlandredaktor und verfasst regelmässig den Newsletter «Der Morgen».
Publiziert:
25.04.2022, 13:10