Erinnerungen an unsere Jugendzeit

Erinnerungen an unsere Jugendzeit vor rund 80 Jahren
von Erich und Susy Gerber

Für meine Frau Susy und mich steht unsere Familie im Zentrum. 
Am 6. Oktober 2023 feiern wir unseren 65. Hochzeitstag.

Wir haben einen guten Kontakt mit meinem Bruder Alex, mit unserem Sohn Patrik und seiner Frau Helen, mit unserer Tochter Brida und ihrem Gatten Werni, dann mit unseren fünf Enkeln, das heisst mit Estelle und ihrem Bruder Andrin Hediger, seiner Freundin Nora sowie mit den Drillingen Naomi, Yannick und Damian Gerber.

Ab und zu denken wir an jene Zeit zurück, als wir etwa so alt wie unsere Enkel waren. Wie war es damals, vor etwa 80 Jahren, während des Zweiten Weltkrieges (von 1939 bis 1945)?
(Vor 80 Jahren war ich 11-jährig, mein Bruder Alex 10 jährig.)

Unsere Gesellschaft hat seit damals - seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute - ungeheure Veränderungen erlebt. Diese möchte ich hier zusammenstellen und für unsere Nachkommen und den jüngeren Freundeskreis noch bewusster machen. Ja, wie war es damals?


Persönliche Erinnerungen meiner Frau Susy

Meine Frau Susy erinnert mich beim Durchlesen dieses Textes daran, dass es vor dem Jahr 1971 noch kein Frauenstimmrecht gab. In den Kantonen dauerte das noch viel länger. Dieses Stimmrecht hat wesentlich zur schrittweisen Entwicklung unserer Gesellschaft beigetragen, bis Frauen in politische Aemter gewählt und immer mehr respektiert wurden. 

Damals war unsere Gesellschaft vor allem «männlich». 

Im Bundesrat und im Parlament waren die Frauen lange nicht vertreten. An der Uni gab es kaum Dozentinnen und Professorinnen, auf den Oberstufen an den Schulen keine Lehrerinnen. Allgemein noch relativ wenig Frauen in leitenden Stellungen. Wenig Aerztinnen, keine Soldatinnen (folglich auch keine Frauen als Offiziere in der Armee), keine Tramführerinnen und keine Frauen, die auf Lastwagen fuhren. Polizistinnen waren undenkbar.

Susy war in ihrer Klasse am Städtischen Handelsgymnasium in Bern das einzige Mädchen. An ihrer Schule gab es nur eine Lehrerin. Manche Schulen waren nach Geschlechtern getrennt, auch die Pfadfinder. 

Es gab sogar Kirchen, in denen die Geschlechter getrennt Platz nehmen mussten. Mädchen durften höchstens beim Wintersport Hosen tragen.

Allgemein gab es bei uns noch wenig Ausländer. 
Schwarze und gelbe Menschen sah man höchst selten. Als wir eine schwarze Austauschstudentin aus Georgia /Atlanta bei uns beherbergten, war das fast eine Sensation. Unser kleiner Patrik hat ihr einmal den Arm gerieben, um zu sehen, ob ihre Farbe loskommt.

Während des Zweiten Weltkrieges, als sehr viele Männer häufig und lange Zeit Militärdienst leisteten, mussten viele Frauen die Arbeit ihrer Männer übernehmen. Damals wurde der Frauenhilfsdienst (FHD) eingeführt.

Susy erinnert sich auch daran, dass das Telefonieren damals sehr teuer war. Ein Anruf in die USA kostete im Jahr 1968 zum Beispiel 50 Franken pro Minute. 


Was hat meine Familie damals in Bern erlebt und durchgemacht?

Beim Nachdenken kommt mir auch vieles aus meiner frühsten Kindheit wieder in den Sinn, zum Beispiel der erste Tag im Kindergarten bei Fräulein Jenzer. Mütter und Kinder waren alle beisammen. Nach einiger Zeit soll ich angeblich ausgerufen haben: „Liebi Mammis, göht jiz wieder hei!“

Meine früheste Erinnerung aus der 1. Klasse in der Primarschule gilt einem Setzkasten, aus dem wir die einzelnen Buchstaben hervorklauben und dann richtig einsetzen mussten. Unsere kleinen Pulte hatten Tintenfässer. Später schrieben wir mit Kreide auf unsere Schiefertafeln und mit Tinte ins Heft. Meine Frau erinnert sich noch an das Tintenlümpli und dass viele Mädchen Zöpfe, Schürzen und Ueberärmel zum Schutz ihrer Kleider trugen. 


Meine Familie 

Mein Vater war Dipl. Bauingenieur ETH. Als ich 10 Jahre alt war, verstarb er am 10.Juni 1942 wegen eines Herzinfarktes auf dem Tennisplatz im Quartier. Seine Mitspieler reagierten ratlos, wie in Panik - niemand dachte daran, das Spital anzurufen, das bloss einige hundert Meter entfernt war. Heute könnte man zur Rettung eines Menschenlebens bestimmt mehr tun, mit einem Defribilator oder über die Nummer 144 Hilfe holen.  

Mein Vater verstarb im Alter von erst 46 Jahren. So mussten wir Kinder schon frühzeitig selbständig werden und unseren Weg durch das Gymnasium an die Universität finden.

Nach Abschluss seiner Studien als Dipl. Bauingenieur an der ETH in Zürich reiste unser Vater nach Griechenland und bewarb sich bei den Staatsbahnen. Um Brücken zu bauen, musste er griechischer Staatsbürger werden. In Athen hat er im Schweizer Club eine junge Holländerin Annemarie ‘t Hooft kennengelernt und im Jahr 1927 geheiratet. Ihre Mutter war Schweizerin aus Le Locle. Meine Mutter wurde 99 Jahre alt.

1931 kehrten unsere Eltern nach Bern zurück. Da die Muttersprache Französisch war, haben wir in unserer internationalen Familie in den ersten Jahren so gesprochen. Bis 5-jährig habe ich also Französisch gesprochen.
Das hat mir später als Direktor der Hotelfachschule Lausanne sicher genützt, die auf Französisch geführt wurde -  auch meinem Bruder Alex bei seinen Studien an der Ecole Polytechnique de l’Université de Lausanne (EPUL). Er hat dort Architektur studiert und ist nach Algerien ausgewandert, wo er während 22 Jahren in der Stadtplanung tätig war. Nach seiner Rückkehr hat mein Bruder seine Studien fortgesetzt und als Dr. ès-sciences mit einer Dissertation über «L’Algérie de Le Corbusier» erfolgreich abgeschlossen. Heute lebt Alex im Domicil Spitalackerpark in Bern.

Von 1936 bis 1942 hat unser Vater in der Generaldirektion SBB als Ingenieur massgebend beim Bau der grossen, vierspurigen Eisenbahn-Bogenbrücke über die Aare in Bern mitgewirkt. Es war eine der grössten Bogenbrücken im damaligen Europa. Das Bogengerüst war aus Holz konstruiert. Die Belastungsprobe der neuen Brücke erfolgte mit Dampflokomotiven. 

Dank der Anstellung des Vaters konnten wir damals mit dem sogenannten Beamtenbillett preisgünstig reisen. (Billettautomaten gab es noch keine!)
Ich kann mich bei den Eisenbahnzügen noch gut an die 3. Klasse erinnern, die aus Holz gebaut war und wo man über Aussentreppen seitlich einsteigen konnte. Damals gab es noch Raucherwagen mit Aschenbechern.


Zuhause in Bern

In Bern wohnten wir an der Viktoriastrasse 45 im Spitalackerquartier, in einem Mietblock mit 8 Häusern zu je 4 Stockwerken (Baujahr 1931). Es gab noch keine Garagen (wohl weil hier nur wenig Leute ein Auto besassen). Jedes Haus hatte aber schon einen Lift. 

Meine Mutter war sehr sprachgewandt. Ausser ihrem Französisch sprach sie Holländisch, Deutsch, Griechisch und Englisch. Unsere Mundart hat sie leider nie gelernt. Wahrscheinlich waren wir Buben daran schuld. Sie konnte aber sehr gut kochen: Gerne assen wir griechische Spezialitäten. Am Sonntag gab es manchmal unsere Lieblingsspeise – Poulet, damals ein Festessen!

Unsere schöne Dreizimmer-Wohnung im 1. Stock hatte einen Boiler (dessen Inhalt für ein Bad pro Tag reichte), eine Etagenheizung, zwei Balkone (je einen auf beiden Seiten), eine Mansarde (ohne WC und fliessendes Wasser), einen Estrich und einen Keller. Gekocht haben wir mit Gas. In den ersten Jahren hat ein Dienstmädchen in der Mansarde gewohnt. 

Unser Telefonapparat war im Gang an der Wand befestigt. Wir mussten ihn stehend bedienen und an der Wählscheibe drehen. Der Radioapparat war ein hoher Kasten, aus dem nur wenige Sender zu hören waren – dafür viele Geräusche.

In unserer Jugendzeit gab es noch kein Fernsehen. Unseren ersten Fernsehapparat haben wir im Jahr 1964 gekauft, als ich 32-jährig war.
Die ersten Radiosender der Schweizerischen Rundspruch-Gesellschaft (SRG) kamen im Jahr 1931 auf. Der im Volk sehr beliebte Landessender Beromünster wurde ab diesem Jahr aktiv. 

Die abonnierte NZZ wurde dreimal im Tag ausgeliefert.

Von der Bank hatten wir Kinder ein Sparkässeli, in das wir unsere Münzen einwerfen konnten. Am Bankschalter wurde es dann geöffnet, geleert und im Sparheft gutgeschrieben.

Unsere Wohnungstüren und die Velos haben wir nie abgeschlossen. Einbrüche und Diebe schien es damals (noch) nicht zu geben.


Wenig Apparate und Maschinen

In unserer Wohnung hatten wir noch keinen Kühlschrank. Beim Küchenfenster gab es ein Kästchen mit einem offenen Gitter nach aussen. Im Sommer strömte hier die Hitze herein…

Damals hatten wir noch keine Waschmaschinen. Auch im Zibelegässli musste das ganze Geschirr für die zahlreiche Belegschaft und deren Wäsche von Hand gewaschen werden. In den 50er-Jahren gab es die ersten Waschmaschinen. 








In unserer Familie hatten wir kein Auto, wohl aber Velos und ein Leiterwägeli. Später hat mich Susy auf dem Topolino der Metzgerei autofahren gelehrt, mit Zwischengas beim Schalten!

Es gab noch keine Velohelme. Mit den Velos (ohne viele Gänge, aber mit einem wirksamen Rücktritt zum Bremsen) fuhren wir zur Schule. Gefährlich waren die glatten Tramschienen, die wir sorgsam überqueren mussten. 


Mühsame und staubige Heizerei

Um zu heizen, mussten wir das Holz, die Briquets und die Kohlen aus dem Keller heraufholen. Dorthin wurde dieses Material regelmässig angeliefert.  Wenn es im Winter kalt war, mussten wir jeden Tag in der Küche neu anfeuern und später die staubige Asche entsorgen.

Es gab Leute, die haben nachts gegen die Kälte Bettsocken und wollene Mützen getragen; und Bettflaschen aus Gummi oder Metall verwendet. Auch wurden Säcke mit Kirschensteinen in einer Nische des Kachelofens gewärmt und dann ins Bett gelegt. 
Diese Heizerei erzeugte viel Staub, was häufigere Reinigungen und Renovationen solcher Häuser nötig machte.

Auch im Wohnhaus meiner Frau Susy in der Metzgerei Richard am Zibelegässli beim Zeitglocken musste in jedem Raum des fünfstöckigen Gebäudes ein Oefeli oder ein grosser Kachelofen angeheizt werden.


Beschaffung von Lebensmitteln

An der Kreuzung neben unserem Haus an der Viktoriastrasse gab es eine Milchhandlung und eine Bäckerei. Jeden Tag kam der Milchmann vor unserem Haus vorbei. Mit lauter Stimme rief er «Miuchmaa!“ ins Treppenhaus. Auf dem Trottoir vor dem Haus haben wir mit einem Kesseli oder Krug die Milch und Butter geholt. Später stellte dieser Milchmann beides in den Milchkasten. Ende Monat wurde bezahlt. 

Während des Krieges, als alle Lebensmittel rationiert waren, hat die Bäckerei  dunkles und weisses Brot angeboten. Sie durfte es aber erst nach 48 Stunden verkaufen, also am dritten Tag. Davon ass man nicht zuviel und wurde schneller satt…Man sagte uns: «Altes Brot ist nicht hart – kein Brot ist hart.»

Regelmässig kam der Bauer mit seinem Fuhrwerk vorbei. Am liebsten gingen wir mit unserer Mutter auf den wöchentlichen Fleischmärit in die Stadt. Dort gab der Metzger uns Buben jedesmal ein Redli kalte Wurst. Daran erinnere ich mich noch heute! Von besonderen Hygienemassnahmen (z.B. gegen lästige Fliegen) war da noch keine Rede. 


Sport

Ab und zu machten wir grosse Velotouren in die Berge, zum Beispiel einmal über den noch nicht asphaltierten Sustenpass. Als YB-Fans fuhren wir an deren auswärtige Spiele, z.B. nach Biel, Solothurn und Grenchen: HOPP YB!
Wir waren richtige Fussball-Fans, haben aber noch nicht endlos wie am Spiess in der Masse gebrüllt und gejohlt. Für 20 Rappen erhielten wir Einlass zu diesen Spielen. 
Unser Vater war Propagandachef der Young Boys. Ich selber habe als Junior am linken Flügel beim FC Bern mitgespielt, bis Spieler bei einem Kiosk Waren gestohlen haben. Dann bin ich sofort ausgetreten.

Beim Schlittschuhlaufen erinnere ich mich noch an die ersten «Metallschlöf», die wir an hohe Schuhe anschrauben mussten. 
Besonders beliebt war im Winter das Schlitteln («Gibele») am recht langen und steilen Bärengraben unterhalb des Rosengartens. Wir haben unsere Davoser-schlitten kopfvoran mit den Beinen zusammengehängt und sind in einer langen Reihe hinunter gerast, bis uns der städtische Sand am Boden wieder stoppte.

Im Winter wurden mein Bruder und ich ab und zu von einer Familie grosszügig in die Skiferien eingeladen, zum Beispiel nach Wengen, wo wir von der Kleinen Scheidegg heruntergefahren sind. Im Dorf haben wir den berühmten Skifahrer Karl Molitor kennen gelernt und bewundert.


Weitere Schulerinnerungen

Im Progymnasium bleiben mir einzelne Lehrer besonders im Sinn. Als meine Mutter einmal den ziemlich merkwürdigen Naturkunde- und Mathematik-Lehrer Pfister in der Schule besuchte und ihn auf Hochdeutsch ansprach – sie war ja Holländerin – hat er sie als vermeintliche Deutsche unhöflich behandelt und ihr «Gehen!» befohlen. Manchmal war ich dann im Klassenzimmer «der Gerber, der auch nichts weiss.»

Wir haben auch Streiche gespielt: Später, im Gymi, wussten wir einmal zum voraus, dass der Physiklehrer «Physuti» die Stromübertragung an uns selber demonstrieren werde und haben uns darauf vorbereitet. Wir standen in einer Reihe und gaben uns die Hand. Als «Physuti» den Strom einschaltete, ist unser Kamerad «Nigo» mitten drin wie vom Schlag getroffen mit einem Schrei zu Boden gesunken. Darauf haben wir alle auf den Lehrer gezeigt und ausgerufen: «Sie sind schuld, Herr Sutter!“

Beim Coiffeur ist mir aufgefallen, dass sich manche Männer regelmässig – manchmal offenbar jeden Tag – mit Schaum und Klinge rasieren liessen. Elektrische Rasierapparate gab es erst später. 


Unangenehmes vom Zahnarzt

Unangenehme Erinnerungen habe ich an unseren Zahnarzt beim Bärenplatz. Seine Bohrmaschine war lärmig und hatte noch keine Wasserkühlung. Zähne wurden anfänglich ohne Anästhesie (Spritzen) gezogen. Später, als ich während des Studiums am gleichen Tag einen Vortrag halten musste, habe ich einen Weisheitszahn ohne Spritze ziehen lassen. An den Schmerz, bis in die Zehen hinein, erinnere ich mich noch heute…

Gegen Kröpfe wurden damals Jodtabletten verteilt. Erst später begann man die Kinder vorbeugend mit Fluor gegen Karies zu behandeln. Heute haben junge Menschen viel schönere Zähne und weniger Karies.


Unser Leben im Quartier

Zwischen den mächtigen Wohnblöcken in unseren Strassen hat es noch heute eine Spielwiese mit einem Sandkasten für die Kleinen. In all diesen Wohnungen haben während des Krieges wohl mehr als 40 Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 18 Jahren gelebt. 

Im Quartier gab es richtige «Banden», die sich ab und zu sogar bekämpften und gefährlich abschlugen. Einen «Gefangenen» haben wir einmal auf der Anlage an einen Baum gebunden und richtig angebiselt. Dafür „geniere“ ich mich noch immer: Wir kleine Buben mussten halt den grossen «folgen». 
Wenn ein Quartierpolizist auftauchte, sind wir blitzartig auseinander gerannt.

Zuhause haben wir nicht nur «Eile mit Weile» und das «Leiterli-Spiel» sondern später auch «Monopoly» gespielt. Dann kam die Märklin-Spielzeug-Eisenbahn hinzu, die wir noch immer besitzen. Zum letzten Mal haben wir sie zusammen mit Damian und Yannick auf zwei langen Tischen aufgebaut und fahren lassen.

Sehr beliebt war damals auch das Spielen mit vielfarbigen, kunstvollen «Märmeli». Wir Buben suchten und gruben kleine Vertiefungen am Boden und flippten dann die kleinen Kugeln abwechslungsweise mit den gekrümmten Fingern gegeneinander und zu diesem Loch. Wer gewann, konnte die im Loch liegenden Märmeli behalten. 

Im Quartier durften wir Kinder draussen spielen, mussten vor der Dunkelheit aber wieder zu Hause sein. Es gab keine Handys, niemand wusste genau, wo wir uns herumtrieben.

Mein Lieblingsort war der Rosengarten mit über 200 Rosensorten und der einzigartigen Aussicht auf die Stadt, den Gurten und die Alpen.

An verborgenen Stellen im Quartier (zum Beispiel im Garten des Salemspitals) haben wir manchmal verbotenerweise Nielen geraucht. Soweit ich mich erinnere, waren Zigaretten uns damals noch ganz fremd und sicher teuer.

Ich bin froh und dankbar, dass ich in meinem Leben nicht geraucht habe und freue mich, dass es unsere Enkel offenbar auch nicht tun. Als Student habe ich es einmal eine Tabakspfeife versucht – das schien mir soo gemütlich. Wahrscheinlich habe ich diese Pfeife nur ungenügend gereinigt – beim Wiederanzünden wurde mir so schlecht, dass ich diesen Versuch für immer beendet habe, aber noch heute gerne darüber rede…

Als die amerikanischen GI’s in ihren braunen Uniformen zu Besuch kamen, erhielten wir auf unser inständiges Betteln die beliebten Chewing-Gums.

Die Firma „Nestlé“ organisierte im Alhambra-Saal Filmvorführungen, die wir im lauten Chor mit begeisterten „Hopp FipFop“-Rufen umrahmten.
In den Bäckereien und Confiserien gab es feine „10er- und „20-er-Stückli“. 
Aus Eis gab es erste Eisstengel, die wir liebevoll „Eis-Röllelis“ nannten.

Mein erster Film, den ich im Kino ansehen durfte, war „Bambi“. Gerne erinnere ich mich auch an die Schwarzweiss-Filme «Goldrausch» von Charlie Chaplin (aus dem Jahr 1925) und «Die letzte Chance» (1945). 


Verkehrsprobleme

Die Autos hatten damals noch keine Sicherheitsgurten, Kopfstützen und erst recht keine Airbags. 
Auf den Strassen hatte es noch keine Geschwindigkeitsbegrenzungen und keine Sicherheitslinien in der Strassenmitte. 

Der Fussballplatz im Stadtquartier war gemäss Plan Wahlen ein Kartoffelacker. Es hatte in unserer Stadt so wenig Autos, dass wir während des Krieges vor dem Haus quer über die breite Strasse Fussball spielen konnten.

Bei den Strassenbahnen (sog. „Trams“) konnte man wenn nötig noch auf- und abspringen. In jedem Wagen hatte es einen Kondukteur. Alles Personal war männlich. 
In den grossen Bahnhöfen gab es Gepäckträger. Unsere Koffer hatten noch keine Rädchen – man musste sie tragen. 

Man trug Taschen und Mappen. Rucksäcke trug man für Ausflüge in die Berge oder im Militär. 

Die kurze Marzili-Bahn beim Bundeshaus-West wurde mit Wasserkraft angetrieben. Sobald der obere Wagen mit Wasser gefüllt war, konnte er seinen „Kollegen“ von unten heraufziehen - ohne elektrischen Strom...


Pfarrer Markus Stotzer

Nach dem Tod meines Vaters war mir Pfarrer Markus von der Johanneskirche während Jahren eine sehr grosse, wertvolle Stütze. Als ich manchmal nicht mehr weiter wusste, konnte ich jederzeit bei ihm vorbeigehen. 

Im Konfirmationsunterricht haben wir bei ihm auch Theaterstücke aufgeführt. In einem Totentanz musste ich einmal die Hauptrolle spielen: „Ich bin der Tod...» habe ich laut in den Saal gerufen. Der Regisseur des Stadttheaters hat mir beim Proben aber beigebracht, diesen Satz nur ganz leise zu flüstern, um dessen Wirkung zu erhöhen…

Aus dem Kinderlehre-Unterricht erinnere ich mich auch noch an eine kleine Negerfigur, die dankend mit dem Kopf nickte, wenn man ein Geldstück einwarf.


Wichtige Pfadfinderzeit

Bei den Pfadfindern der Abteilung „Patria Bern“ wurden wir zu richtigen Buben. An den samstäglichen Uebungen in den Wäldern rings um Bern habe ich sehr viel Praktisches gelernt. Von den zig Knöpfen, die wir mit einer Schnur banden, dem Morsealphabet, den Sternbildern, dem Kompass, dem Kartenlesen, Orientierungslauf, Zeltbau, dem Kochen auf offenem Feuer, dem Kanten, der Ersten Hilfe bis zum Abseilen an einem Felsen in Ostermundigen.

Bei den Pfadern haben wir auch das Skifahren gelernt und auf Ausflügen geübt.

Schöne Erinnerungen habe ich von unseren Zeltlagern im Jura, im Tessin und im Wallis - mit den romantischen Lagerfeuern, den «Prodere» und dem abschliessenden Beresinalied in diesem Freundeskreis.
Im 14tägigen Zeltlager von Pazzallo im Tessin wurde ich vom Truppführer «Biber» auf den Namen «CHIRE» getauft. Ich musste auf den Rücken liegen. Ueber mir stehend, hat er mir aus einem Kübel gutschweise Wasser auf meinen Kopf gegossen und dabei meinen Pfadernamen buchstabiert. Der umgekehrte Vorname «CHIRE» begleitet mich seither mein Leben lang.

Die originellsten Töne, die ich in meinem Leben je gehört habe, sind die Regentropfen, die auf das Doppeldach des Zeltes trommeln

Unter dem Motto «Allzeit bereit!» habe ich zuerst als Pfader, dann als Gruppenführer (Venner) für 6-8 Knaben und später als Truppführer (mit bis zu 30 Buben) auf direkte Weise gelernt, Probleme anzupacken und zu lösen, Verantwortung zu übernehmen, Menschen zu führen, Dinge und Anlässe zweckmässig zu organisieren und praktische Uebungen in den Wäldern durchzuführen.
Unsere Verantwortung war sehr gross – was hätte alles geschehen können, wenn…? 
Bei den Pfadern gibt man sich die linke Hand. Ich habe dort gute Freunde für das ganze Leben gewonnen. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, ist es wie damals! Mit dem 98-jährigen Freund NIDLE aus der Rovergruppe AHOI telefoniere ich gerne. Er lebt in einem Alterszentrum.

Ich frage mich wirklich, ob meine spätere Karriere in der Armee bis zum Oberst im Generalstab ohne diese jahrelangen positiven und negativen Erfahrungen bei den Pfadfindern möglich gewesen wäre.


Meine Büroarbeit

Meine erste Schreibmaschine war eine «Hermes Baby» aus dem Jahr 1935, mit einem Farbband. Ich war mächtig stolz darauf. Weil wir noch keine Kopiergeräte hatten, musste man Briefe mit Durchschlagspapier tippen, was bei Korrekturen viel Mehrarbeit auf den Kopien zur Folge hatte. 

Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie später (1963) als Wunderwerk die berühmte IBM-Kugelkopf-Maschine auf den Markt kam, allseits bewundert und benieden.
Computer waren in den Familien damals noch völlig unbekannt. Den ersten Computer – einen Mac – haben wir 1982 gekauft, als unser Sohn Patrik sein IT-Studium an der ETH begann.

Auch Kugelschreiber gab es noch keine. Der erste hiess BIC, kam 1950 auf den Markt und kostete etwa 20 Franken, also mehr als jede Füllfeder.


Unsere Zeit im Weltkrieg von 1939 bis 1945

Ich kann mich noch gut an den Kriegsbeginn am 1. September 1939 erinnern, als unsere Armee mobilisiert wurde und später die ersten Alarmsirenen auf unseren Dächern zu heulen begannen und wir oft in den Luftschutzkeller hinuntergehen mussten – sogar während des Schulunterrichts. 

Jedes Haus musste einen Luftschutzkeller haben. In manchen Kellern wurden für alle Fälle sogar Betten installiert sowie Essvorräte und Wasser bereitgestellt. 

Nachts musste alles verdunkelt werden. Im ganzen Land durfte kein Licht aus den Häusern ins Freie dringen, damit sich die fremden Flugzeuge nicht daran orientieren konnten. Auf den Strassen brannten keine Lampen. Im ganzen Land waren Wegweiser und Firmentafeln abmontiert, um Fremden die Orientierung zu erschweren. 
Ab 1942, als die Alliierten den deutschen Luftraum beherrschten, wurde der schweizerische Luftraum immer häufiger verletzt. In Herisau wurde zum Beispiel im Jahr 1944 163mal Luftalarm gegeben. An verschiedenen Orten wurden versehentlich Bomben abgeworfen, so auch in Zürich.

Wir mussten sparen, mit allem haushälterisch umgehen, Gebrauchtes sorgsam aufbewahren, z.B. Schnüre, Karton, Verpackungen und weiteres Material, das man wieder brauchen konnte. Kaputte Wäsche musste wieder geflickt werden. Während des Krieges haben wir unter anderem aus altem Zeitungspapier Schuhsohlen für Soldaten genäht. Schuhe wurden geplättelt, damit sie länger hielten. 

Mit der Schule mussten wir regelmässig auf den Strassen Rossbollen als Dünger und auf den Kartoffeläckern goldschwarze Coloradokäfer sammeln. Auch Eicheln und Buchnüsse wurden gesammelt und zu Kaffee-Ersatz und Oel verarbeitet. Häufig gingen wir auch in den Wald, um Holz zu sammeln.

Jede Familie musste wie erwähnt einen Notvorrat anlegen, der im Keller aufbewahrt wurde. Dieser Vorrat umfasste unter anderem Mehl, Reis, Teigwaren und Zucker, aber auch Oel und Wasser. Bohnen, Aepfel und Zwetschgen wurden gedörrt, frische Früchte auf Gestellen so ausgelegt, dass sie einander nicht anstecken konnten. Eier wurden eingemacht, was eine schleimige Sache war.

Jugendliche mussten einen dreiwöchigen Landdienst absolvieren.
Lebensmittel waren rationiert und nur mit speziellen Marken erhältlich.
In Restaurants musste man Mahlzeitencoupons abgeben.

Insgesamt haben wir nie echten Hunger gelitten, haben damals aber viel einfacher und gesünder gelebt. 

Da die Grenzen geschlossen waren, waren während des Krieges keine Reisen ins Ausland möglich.

In Restaurants gab es kaum fremdländische Speisen. Erst mit den Fremdarbeitern aus Italien kamen italienische Restaurants und deren Speisen auf.

Viele Lastautos fuhren mit einem sogenannten Holzvergaser als Ersatz für Benzin. Hinter der Personenkabine war ein Tank, in welchem Holz verbrannt und nur wenig Luft zugelassen wurde. Das dadurch entstandene Gas konnte für den Antrieb verwendet werden. Das besonders streng rationierte Benzin wurde erst 1947 wieder frei, 2 Jahre nach dem Krieg.


Weitere Erinnerungen

Es gab noch keine Autobahnen. Unsere Eisenbahn quer durch das Land kreuzte viele Strassen – es gab noch keine elektrischen Barrieren. An den Uebergängen mussten die Bahnwärter vor ihren kleinen Häuschen die Barrieren von Hand hinunter und dann wieder hinaufkurbeln. Die Autoschlangen mussten geduldig warten.

Es gab noch keine Grossverteiler wie Migros und Cop. Im Jahr 1925 hat Gottlieb Duttweiler seine ersten Ford-Lastwagen zum Verkauf seiner Produkte in die Wohnquartiere geschickt. Der schweizerische Detailhandel hat heftig – aber vergeblich - dagegen reagiert. 

Im Jahr 1956 hat das Warenhaus Loeb die erste Rolltreppe in der Stadt Bern installiert. Das war eine grosse Sensation.

Im Bahnhof von Bern suchten wir Kinder aus Gwunder geradezu den Rauch und Dampf der Dampflokis, die damals dort rangierten. 

Als wir 1946 unsere Verwandten in Holland besuchten, sind wir mit einem solchen Dampfzug gefahren. In den Tunnels musste man die Fenster schliessen, um sich vor dem Kohlenstaub zu schützen...

Wir hatten keine Playstation, Nintendo 64, X-Boxes, Videospiele, 99 Kabelkanäle, Videorecorder, Dolby surround, Handys, iPhones, iPads, und Chatrooms im Internet – aber gute Freunde!

Wir konnten raus, um zu Fuss oder mit dem Velo Freunde besuchen, auch wenn sie mehrere Kilometer weit entfernt waren. Ohne zu läuten oder anzuklopfen gingen wir ins Haus und holten sie zum Spielen ab.

Wir hatten Aufgaben, Freiheiten, Rückschläge, Erfolg - und lernten damit umzugehen.

Die Preisfrage ist nur: Wie haben wir es geschafft, all das zu überleben? Und vor allem, wie konnten wir unsere Persönlichkeit und Handeln entfalten, trotz allen Mängeln? Wie war das möglich? 

Im Rückblick scheint es, als ob unsere Welt damals – trotz Weltkrieg und vielen Problemen – noch relativ verständlich und machbar war. Heute ist sie ungleich komplexer, bedrohlicher, dynamischer, schwieriger, teurer und zunehmend digitalisiert.

Letzte Fragen: Wie wird unsere Welt aussehen und sein, wenn unsere Enkel einmal so alt sind, wie wir es heute sind? Und wie werden sie damit fertig?
Wait, see and hope!

Mit lieben Grüssen und Wünschen an Euch alle

Erich und Susy Gerber

Gesundheitszentrum für das Alter Herzogenmühle
Wohnung 230
Glattstegweg 7
8951 Zürich 
Mob 079 282 29 10
Tel. 044 414 34 15 

www.aktivsenior-erichgerber.ch (Zugang zu meiner Website)
erich.gerber-zh@bluewin.ch
WWW.rc-redliwil.ch 
Mein damals frei erfundener Schweizer Rotary Club (mit heute mehr als 100 Glossen)

Ende